CDU Stadtverband Sinzig

Rede von Horst Gies zur Regierungserklärung der Ministerpräsidentin „Gemeinsam bauen wir wieder auf“

7. Juli 2022

Anrede,
„Ein kleines Paradies“ – so nennen wir im Ahrtal gerne unsere Heimat. Quer durch die Jahrhun-derte wollten Menschen hier zu Hause sein. Und jetzt – wollen sie hier zu Hause bleiben können.
Unsere Region lebt überwiegend vom Tourismus, er ist der Motor, das Herz des Ahrtals. Und so hängt alles miteinander zusammen: Wieder- und Neuaufbau, Tourismus, Hoffnung, Perspektiven, Zukunft.

Anrede,
vor einem Jahr hat die Flutkatastrophe tiefe Wunden gerissen. Und deshalb ist die heutige Stun-de im Plenum gleich in mehrfacher Hinsicht bedeutend:
(1) Zum einen, um innezuhalten und in Gedanken bei den Menschen zu sein, die in den Fluten der Nacht vom 14. auf den 15. Juli ums Leben kamen, die verletzt wurden, die im Ahrtal nach wie vor trauern, um Angehörige und um das, was sie verloren haben.
Auch andere Regionen, an der Mosel, an der Sauer, an der Prüm kämpften gegen das Was-ser, aber im Ahrtal war es am schlimmsten. Fast jeder dritte Einwohner des Landkreises ist betroffen. 40 000 Menschen. Wenn es nachts regnet, kommt sofort die Angst in einem hoch“, sagen viele, und meiner Familie geht es nicht anders.
(2) Der Jahrestag bietet zudem Anlass, uns die unglaublichen Hilfeleistungen in Erinnerung zu rufen. Zehntausende freiwillige Helfer und Einsatzkräfte von Blaulichtfamilie, Bundeswehr und Hilfsorganisationen aus dem ganzen Bundesgebiet kamen monatelang an die Ahr, um anzupacken, opferten unzählige Wochenenden und Urlaubstage, manche heute noch. „Ohne Euch säßen wir heute noch im Schlamm“ – bedankten sich Flutopfer am Samstag in Mainz.
Spenden – Geld, Kleider, Möbel – halfen, die Not zu überbrücken. Betriebe, Handwerker, stellten Geräte, Material, Fachkräfte bereit. Eine starke Solidarität – die vor Ort unglaubli-chen Mut machte, die zeigte, was es bedeutet, als Gesellschaft zusammenzuhalten. Allen, vom Kind, das seine Puppe weg gab bis hin zum Rentner, der sein Auto verschenkte – gebührt unser Dank und unsere Bewunderung!
(3) Der Jahrestag ist aber auch Anlass, um Sorgen Ausdruck zu verleihen. Den existentiellen Sorgen der Bevölkerung, die ihre Heimat wiederhaben und engagiert an einer guten Zukunft für diese Heimat arbeiten möchte.
Die Zuversicht, der Elan der ersten Monate, kommt jetzt, ein Jahr später, vielen Bewohnern abhanden. 6000 haben bereits ihre alte Heimat verlassen. Zu erdrückend die Erinnerungen, zu groß die Angst vor einem neuen Hochwasser und vor der ungewissen Zukunft. Etwa jeder Zehnte überlegt, fortziehen. Gehen oder bleiben?
Wer durch das Ahrtal fährt, sieht immer noch gewaltige Schäden. Kaputte Straßen und Rad-wege, Spanplatten statt Fenster und Türen, verschlossene Gaststätten und Restaurants. Ja, es wird aufgeräumt und renoviert. Und da sind Bürgerinnen und Bürger, die sagen, wir wer-den und wollen das schaffen. Fälle, wo alles gut läuft. So war das allererste Geschäft, das in Ahrweiler wieder aufmachte, ein Lederwarengeschäft und die Inhaberin ist 81 – ein großar-tiges Zeichen der Hoffnung.
Aber anderen geht die Puste aus. Ob Privat- oder Geschäftsleute – sie sind mit Kraft und Nerven am Ende.

Weil sie sich von der Landesregierung, von Behörden im Stich gelassen fühlen.
Weil sie den Versprechungen, die am Anfang gemacht wurden, vertrauten und nun tief enttäuscht sind.

Anrede,
“Lasst uns nicht allein.“ „Wir haben das Gefühl, dass es nicht weitergeht.“ „Vergesst uns nicht.“ Über vielen Orten liegt wie Nebel eine Stimmung aus Verzweiflung, Wut und Frust. Und Kritik an Bund, Land, Behörden, Verwaltung, die Verantwortlichkeiten hin und her schieben, dazu Ärger auch mit Versicherungen. 15 Milliarden stehen für den Wiederaufbau bereit – doch ausgezahlt wurde bisher nur ein Bruchteil, eine halbe Milliarde Euro. Das ist doch beschämend! Das ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen, sehr geehrte Damen und Herren!

Staatliche Hilfen, die tröpfeln,
Viel zu komplizierte Anträge,
Zu wenige Anträge bearbeitet,
zu wenige bewilligt,
Geld, das fehlt.

Die Situation in wenigen Worten zusammengefasst: Zu viel Bürokratie auf dem Tisch bei zu wenig Geld in der Hand! Und obendrein steigende Preise, fehlende Handwerker und Fachkräfte wie Materialien.
Und jetzt aktuell – der Wegfall des Kurzarbeitergeldes für flutgeschädigte Betriebe. Die Bundesregierung ist nicht bereit, eine Härtefallregelung für das Ahrtal zu ermöglichen. Mehrere tausend Arbeitsplätze, in Kliniken, in Betrieben sind in Gefahr, mit verheerenden Folgen, mit Entlassun-gen, mit Insolvenzen. Frau Ministerpräsidentin, Herr Arbeitsminister – warum haben Sie nicht mehr Druck in Berlin gemacht? Sehen Sie nicht, das sich hier eine weitere Katastrophe für das Ahrtal anbahnt?
Immer wieder haben Sie in Interviews, in Reden, auf Facebook erklärt – ich zitiere:

„Wir (also Sie, die Landesregierung) wollen den Betroffenen eine konkrete Hoffnung,                                                                                                                                                                                                     einen klaren Fahrplan für die Zukunft ihrer Heimat geben.                                                                                                                                                                                                                                                   Wir helfen schnell und unbürokratisch. Nein, Frau Dreyer, eben nicht.

Es fehlt an Hoffnung,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Es fehlt an einem klaren Fahrplan,                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Es fehlt an schneller und unbürokratischer Hilfe.

Wir alle wissen, wie groß die Herausforderungen nach der Flut waren. Wir wissen, dass es für die Bewältigung solcher Katastrophen, solcher Schadensdimensionen, keine Blaupausen gibt und vieles seine Zeit braucht. Aber umso mehr gilt es doch,

entschlossen anzupacken,                                                                                                                                                                                                                                                                                                      unbürokratisch zu handeln.

Ein Wort zur Diskussions- oder besser Showveranstaltung am Montag. Brauchen Sie wirklich eine Kommunikationsagentur, um über den Wiederaufbau zu reden? Warum haben Sie nicht das ehrliche Gespräch mit Betroffenen gesucht? Ich empfehle den heutigen Rheinzeitungsartikel: „Wenn Politik nicht auf Wirklichkeit trifft“ als Lektüre.

Absichtserklärungen und Lippenbekenntnisse, Frau Dreyer, reichen nicht aus. Es reicht nicht, was ihre Regierung unternimmt, da fehlt die Steuerung. Frau Ministerpräsidenten, lassen Sie die Menschen im Ahrtal nicht allein! Wo waren Sie am Samstag, als in Mainz vor dem Landtag de-monstriert und an die Opfer erinnert wurde? Lieber lassen Sie Ihren Innenminister in einer gewichtigen Hochglanzbroschüre eine – ich zitiere: „beeindruckende Bilanz“ vorlegen, die dokumentieren soll, wie gut der Wiederaufbau voran-schreitet, dass sie alle betroffenen Menschen mit Hilfsangeboten und aufsuchender Hilfe errei-chen wollen. Frau Dreyer, solche Worte klingen doch für Betroffene wie der blanke Hohn. Verzweiflung auch an der Mosel, in Ehrang, in Kordel. „Wir leben in einem toten Dorf“ – ein Artikel vorgestern in der Rheinzeitung. Der Kindergarten leer, das Altenheim unbewohnt, Geschäfte aufgegeben.

Anrede,
Gelder sind grundsätzlich verfügbar. Aber die Auszahlung hinkt dem Bedarf weit hinterher und sie ist in vielen Fällen zu niedrig für den akuten Bedarf.
Frau Ministerpräsidentin Dreyer, wir fordern Sie deshalb auf: Erhöhen Sie endlich die Abschlags-zahlungen! Hören Sie auf, den Flutgeschädigten zu misstrauen und ihnen bürokratische Hemm-schwellen in den Weg zu legen! Folgen Sie dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen! Hier werden seit Januar 40 Prozent ausgegeben. Also das Doppelte. Für die Menschen im Ahrtal ist das ist eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit!
Zu Recht kritisiert die Mainzer Allgemeine Zeitung „einen fatalen Kreislauf aus unerträglich lang-wierigen Gutachten- und Antragsverfahren, ausbleibenden Hilfszahlungen, fehlenden Handwer-kern“. (04.07.22) Die normalen Prüf- und Genehmigungsverfahren eigenen sich nicht für den Neu- und Wiederaufbau – sie bremsen ihn aus!
Die ISB ist eine hundertprozentige Tochter des Landes Rheinland-Pfalz – also sorgen Sie Frau Ministerpräsidentin, dafür, dass die ISB endlich über ihren eigenen, bürokratischen Schatten springt!

Anrede,
ich habe eingangs gesagt, es hängt alles zusammen: Aufbau, Tourismus, Hoffnung, Perspektiven, Zukunft. Stand jetzt:

Die Tourismusbranche in Not,
Betriebe und Arbeitsplätze in Gefahr                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Für die Ausweisung von neuen Baugebieten als Ersatz – keine Lösung.
Einrichtungen ohne Sicherheit – bis heute ist beispielsweise nicht klar, was mit der Ahr-talschule geschehen soll.
Junge Leute sind bereit, von älteren Angehörigen den Hausbesitz zu übernehmen und neu aufzubauen. Sie sind bereit, im Ahrtal zu bleiben, erhalten aber keine Förderung.

Das ist doch fatal:
Denn an den Jungen und an denen, die bleiben wollen, hängen Zukunft und Heimat. Der Wiederaufbau ist eine der größten Herausforderungen für das Land seit der Nachkriegszeit. Deshalb hat die CDU-Fraktion konkrete Punkte erarbeitet, um den Wiederaufbau des Ahrtals zu beschleunigen und die Situation der Menschen vor Ort zu verbessern. Und ich darf Sie jetzt schon – verehrte Kolleginnen und Kollegen – aufrufen, den Antrag, den wir dazu am Donnerstag vorlegen, zu unterstützen!

Anrede,
viele Menschen im Ahrtal können bei Regen nachts nicht mehr ruhig schlafen. Aber sie sollten zumindest schlafen können in der Gewissheit und mit dem Gefühl, dass Politik und Behörden alles dafür tun, dass sie eine sichere Zukunft haben

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