Julia Klöckner in „Die Welt“
Kopftuch, Burkini, Vollverschleierung: Alles das Gleiche? Alles verbieten? Nein, nicht alles. Sind ihre Trägerinnen alle Demokratiefeinde und nicht diskursfähig? Nein, nicht alle. Ich muss sie enttäuschen, die Freunde der harten Kante, die Deutschland-Untergangs-Beschwörer. Enttäuschen auch die Liebhaber der Hauptsache-Vielfalt-Fraktion und Rassismus-Keulen-Schwinger. Ich lege weder wert auf Applaus von der einen, noch von der anderen Seite.
Diese beiden Gruppen – ganz links und ganz rechts – sind im Übrigen in ihren Mustern, ihren Reflexen und in ihren Pauschalurteilen Zwillinge. In ihren Shitstorm-Qualitäten, die sie über Menschen ausgießen, die nicht mindestens 100 Prozent ihrer Meinung sind, passt kein Blatt zwischen ganz rechts und ganz links.
Und das ist wohl auch der Grund, warum jede ernsthaft gemeinte Debatte über Frauen im Islam, über Toleranz und Offenheit einerseits, und über Verbote und klare Grenzen andererseits, so heftige Reaktionen auslöst. Gerade im anonymen Netz. Denn dort scheint es für viele nur die eine oder nur die andere Haltung zu geben. Entweder Toleranz und Offenheit ODER Verbote und klare Kante. Aber es gibt auch beides zusammen. Dafür plädiere ich, für die beiden Seiten einer Medaille. Bei den Shitstormern hat die Madaille auf beiden Seiten immer nur das Gleiche. Mit einer solchen Münze ist der Tauschhandel der Argumente schwierig. Medaillen mit eintönigen Seiten sind die Währung von Hass. Und das hat nichts, rein gar nichts mehr mit unserem Demokratieverständnis zu tun, das die einen wie die anderen zu verteidigen vorgeben.
Kopftuch, Burkini, Vollverschleierung. Eine hysterische Debatte um ein Stück Stoff? Hysterisch vielleicht, aber notwendig. Worum es bei allen drei Kleidungsstücken geht: um Frauen. Und genau deshalb kann es bei dieser Debatte nicht darum gehen, wie groß die Anzahl der Trägerinnen ist, sondern Grundlage der Beurteilung ist die Qualität des Menschenbildes. Genauer gesagt des Frauenbildes, das dahinter steht. Wenn wir über Verbote sprechen, wenn wir darüber reden, was wir dulden – wenn auch mit Bedenken – und was nicht, dann geht es immer auch um unser Leitbild in Deutschland und um Emanzipation. Es ist doch auffällig: Die Gemüter erhitzen sich nicht wegen des Kleidungsstils muslimischer Männer. Es geht nur um das richtige oder falsche Auftreten muslimischer Frauen. Was im Jahre 2016 bemerkenswert ist. Seien die Herren noch so extrem gläubig, sie scheinen selbst kein Problem mit legeren westlichen Kleidungsritualen zu haben – gerade bei extrem hohen Temperaturen. Die Integration klappt da häufig schneller als gedacht, Bermudashorts und Badelatschen inklusive. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie das auch den Frauen ihrer Familien zugestehen. Sommerhitze – er im offenen Hemd, lockerer Leinenhose. Sie vollverschleiert in schwarz. Dass das einer Frau Spaß machen soll, kann mir keiner erzählen. Kommt ja nicht so oft vor? Mag sein, aber in unserer Gesellschaft zählt das einzelne Individuum, und nicht erst die Masse verleiht im Wertigkeit.
Und genau das ist das Problem. Das Problem der unterschiedlichen Wertigkeit von Mann und Frau, die sich hier über die Kleidung ausdrückt. Zugegeben, und zwar gerne: Frauen und Männer sind nicht gleich. Aber beide Geschlechter sind gleichwertig. Zumindest in unserem Land ist das ein wichtiger Grundsatz. Wird er nicht eingehalten, kann man dagegen klagen.
Es ist schon verwunderlich, dass diejenigen, die für eine „gender-gerechte Sprache“, die für das Binnen-i- und für die gesetzliche Frauenquote kämpften, die das Betreuungsgeld als „Inhaftierung der Frauen im Haus“ brandmarkten, plötzlich verstummen, wenn eine Frau aufgrund ihres Geschlechtes sich verhüllen soll, ihr damit jede unbeschwerte Kommunikation, Integration, Teilhabe – ja auch an der Frauenquote und am Arbeitsplatz – genommen wird.
Geschlechtertrennung unter dem Deckmantel der Religion geht meist zulasten der Frauen und ist mir suspekt. Warum wird für Schülerinnen im Schwimmunterricht die Verhüllung durch einen Burkini von ihren streng gläubigen Familien gefordert, sogar in Rheinland-Pfalz vom zuständigen Bildungsministerium empfohlen, um unliebsamen Debatten aus dem Weg zu gehen, während die Jungs aus der gleichen Religionsgemeinschaft sich wie andere in der Klasse zeigen können? Ein gestörtes Geschlechterbild vermittelt man da bereits jungen Mädchen – dass ihr Körper etwas Anstößiges, etwas Unanständiges in der Öffentlichkeit sei. So etwas deformiert. Und die Jungs lernen das auch, und wir wundern uns dann, wenn Lehrerinnen weder vom Vater noch vom Sohn ernst genommen werden, wenn Frauen als Chefinnen in der Lehre und am Arbeitsplatz ignoriert werden. Das kann nicht gut gehen. Weil wir auch nicht wollen sollten, dass sich so etwas durchsetzt und gut geht. Warum müssen Frauen vor den Blicken der Männer verdeckt werden, aber niemand käme auf die Idee, einem Mann zu einem Ganzkörperschleier zu verpflichten?. Frauen haben sich das mit Sicherheit nicht ausgedacht. Das klingt eher nach einem vollkommen überholten männlich geprägten Geschlechter- und Rollenbild, das mit einer offenen Gesellschaft wenig zu tun hat. Für junge Menschen ist wichtig, dass sie entspannt aufwachsen und von klein auf die Bedeutung von Gleichberechtigung erfahren und damit erlernen. Falsch verstandene Toleranz trifft unmittelbar Mädchen und Frauen. Das sollten wir nicht hinnehmen.
Für den Alltag und die Praxis heißt das dennoch Differenzierung – Kopftuch, Burkini und Vollverschleierung sind nicht das Gleiche – auch wenn es für die Freunde der einfachen Antworten kompliziert scheinen mag.
Kopftuch hat an Schulen, in Gerichten, an manchem Arbeitsplatz nichts zu suchen. Aber im Straßenbild das Kopftuch zu verbieten, ist Unsinn.
Ein Burkini hat im Schulsport nichts zu suchen. In der Freizeit hat manche Badeanstalt ihre eigene Hausordnung und kann das für sich entscheiden. Wer im Schwimmbad ein T-Shirt, das jemand wegen des Sonnenschutzes anzieht, verbietet aus hygienischen Gründen, aber einen Burkini als Anstandsrobe zulässt, hat ein Logikproblem. Am offenen Strand den Burkini zu verbieten, ist aber Unsinn. Optisch gleicht er dem Neoprenanzug, den Surfer tragen. Eines bleibt dennoch: Solche Schwimmanzüge werden aus unterschiedlichen Gründen getragen. Der eine aus praktischen Gründen, der andere aus ideologischen, unemanzipatorischen Gründen. Das ungute Gefühl bleibt.
Vollverschleierung – und damit ist nicht der völlig deplazierte Vergleich, den Nordrhein-Westfalens Innenminister mit dem Karneval machte, gemeint – hat in der Öffentlichkeit gar nichts zu suchen und gehört in Deutschland außer in den eigenen vier Wänden verboten. Die Vollverschleierung ist eine extreme Absage an die Gleichberechtigung der Frau. Denn dahinter steht: Wenn Frauen ihr Gesicht und weibliche Formen in der Öffentlichkeit zeigen, würde das zu Unruhe führen, es sei unsittlich und würde Männer verwirren. Absurd.
Übrigens auch eine ungeheuerliche Unterstellung allen Männern gegenüber als seien sie nicht Herr ihrer selbst. In einer offenen Gesellschaft gilt offenes Visier – für jedes Geschlecht. Und Mitmenschen wollen anderen ins Gesicht schauen können. Wie soll Integration gelingen, wenn nicht alle daran teilhaben können? Es kann noch so viele Angebote des Staates geben, aber vollverschleierte Frauen werden niemals hier integriert werden können, sie haben keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Dabei grenzt nicht unsere Gesellschaft sie aus, sondern sie selbst, ihre Männer und Familien grenzen sie ab. Wer unser Angebot einer freien, offenen Gesellschaft ablehnt, der ist nicht gezwungen, hier leben zu müssen. Wer aber Frieden, Sozialsysteme und Möglichkeiten unseres Landes gerne in Anspruch nimmt, aber die andere Seite derselben Medaille, nämlich Gleichberechtigung der Frauen, ablehnt, der ist hier falsch. Rosinenpicken zerstört auf Dauer den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Wenn wir ein vormodernes Frauenbild akzeptieren, geben wir die mühsam erkämpfte Gleichberechtigung auf. Eine Vollverschleierung ist kein modisches Accessoire, sondern eine knallharte politische Aussage: ´Mit Euch wollen wir nichts zu tun haben, sprecht meine Frau nicht an.´ Die Vollverschleierung ist kein Zeichen religiöser Vielfalt, sondern steht für eine Ablehnung westlicher Werte. Das können wir schlichtweg nicht dulden. Wer ein intolerantes Frauenbild toleriert, macht sich zum Verbündeten der Unterdrücker, zum Gehilfen derer, die sich bewusst gegen westliche Werte stellen. Islamisten verachten uns wegen unserer Toleranz, wegen unserer Freiheiten. Anders als das Kopftuch reduziert der Vollschleier die Frau nur noch auf ihre Augen, auf eine pure Unterordnung. Eine solche Frau ist gegenüber einem Mann nie gleichwertig, selbst wenn sie selbst den Schleier anziehen will. Es gibt auch Menschen, die freiwillig nackt durch die Fußgängerzone laufen wollen. Auch das lassen wir nicht zu Religionsfreiheit ist ein hohes und wichtiges Gut. Ebenso unsere Aufklärung und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und hier treffen dann hin und wieder Welten aufeinander, wo klare Positionen gefragt sind. Einer Frau wegen ihres Geschlechts nicht die Hand geben zu wollen, entspricht genausowenig unserem Bild von Aufklärung, sondern entspringt dem gleichen Denken, das einige junge muslimische Männer gegenüber Lehrerinnen an den Tag legen, weil sie sich von Frauen nichts sagen lassen wollen. Das macht Integration nicht leichter. In Niedersachsen ist zurecht an einer Schule das Tragen eines Niqabs bei einer Schülerin verboten worden. Statt das im Sinne aller Betroffenen zu begrüßen, auch im Sinne des weiblichen Lehrpersonals, meldete die Lehrergewerkschaft dagegen Bedenken an, diese Härte sei kontraproduktiv. Absurd. Die hinter der Verhüllung stehendenden Härte gegenüber Mädchen ist kontraproduktiv.
Klarheit ist hier gefordert. Und das sollte die Politik auch ernst nehmen. Halbverbote von Vollverschleierung etwa beim Autofahren oder beim Betreten eines Amtes, rufen nur den Frust und das Unverständnis der Bevölkerung hervor. Frauenrechte enden nicht an der Windschutzscheibe eines Autos oder an der Tür eines Amtes, sie spielen auch auf der Straße eine Rolle. Und es geht auch nicht um Sicherheitsfragen, sondern um Integration.
Klarheit und Unmissverständlichkeit bei selbtsverständlichen Sachverhalten ist wichtig, damit anderes, was uns vielleicht nicht schmeckt, aber geduldet werden muss, besser akzeptiert werden kann. Wo die klare Kante beim Offensichtlichen fehlt, ist kein Platz mehr für Differenzierung an anderer Stelle. Es muss uns nicht schmecken, wenn eine Frau mit Kopftuch auf der Straße uns begegnet, aber wir müssen es ertragen. Auch wenn ich mich frage, weshalb es unanständig sein soll, als Frau in der Öffentlichkeit sein Haar zu zeigen. Aber auch Nonnen sollen weiterhin ihren Habit tragen dürfen.
Kopftuch, Burkini, Vollverschleierung: Warum diese Differenzierung? Weil Integration eine Zumutung ist, für beide Seiten. Weil es um unser Zusammenleben und um unsere Grundwerte in einer offenen Demokratie mit Spielregeln geht. Weil es letztlich um das geht, was Demokratie ausmacht: Balance zu finden zwischen Individualität, Freiheit, Allgemeingültigkeit, Gemeinwohl, zwischen Rechten und Pflichten. „Denn Dialogfähigkeit ist die Grundkompetenz einer liberalen Republik“, so Christopher Gohl von der Universität Tübingen. Und er springt Ulf Poschardt zur Seite, der uns als CDU aufgefordert hat, auch mit Kopftuchträgerinnen in unserer Partei froh zu sein und im Dialog zu bleiben.
Die Reaktionen von allen Seiten ließen nicht lange auf sich warten. Herr Poschardt, seit Jahrzehnten Journalist, kann sich an keinen vergleichbaren Shitstorm erinnern. Warum ist das so? Weil es in einigen Milieus ein grundsätzliches Tabu ist, jemanden mit Kopftuch für diskursfähig zu halten. Poschardts Überlegung war simpel: Sein Vertrauen in die Integrationskräfte von unserer partizipatorischen Demokratie, aber auch die unserer intakten (Volks)Parteien waren groß genug, dass man sich vor einer möglicherweise mit Verständnis für Erdogan ausgestatteten Muslima weniger erschreckt, als sie zu einem Teil unserer Wertegemeinschaft zu machen. Man kann über die Berliner Muslima mit Kopftuch, die Mitglied der Jungen Union ist, dieser oder jener Meinung sein. Überhöhen muss man sie nicht, verdammen auch nicht. Ihr Facebook-Post zum Putschversuch in der Türkei ist mehr als verunglückt. Den hat auch Herr Poschardt scharf kritisiert. Aber warum diese Aufregung über seinen Vorschlag, mit Kopftuchträgerinnen im Gespräch zu sein? Man kann anderer Meinung sein, gewiss, aber eine Hasswelle auslösen? Kopftuch zu tragen qualifiziert erst einmal zu nichts, umgekehrt gilt das Gleiche. Kopftuch ist etwas anderes als Vollverschleierung. Und wenn eine Muslima sich entscheidet, in die Jugendorganisation einer politische Partei der Mitte einzutreten, finde ich das positiv bemerkenswert. Das reicht sicher nicht. Denn dann kommt die Auseinandersetzung mit den Inhalten und der Haltung. Sicher habe auch ich Fragen, ob sie Frauen, die kein Kopftuch tragen, als unanständig betrachtet, wie sie die Erdogan-Politik gegen Presse- und Meinungsfreiheit mit unseren Grundwerten vereinbart. Manchmal steckt hinter einer Stirn, die kein Kopftuch trägt, kruderes Gedankengut als bei jemandem, der uns angeblich optisch den Anlass bietet, vom Schlimmsten auszugehen. Mag sein, dass das Gesellschaftsbild der kopftuchtragenden Muslima nicht zu uns passt, aber das sollte man erst herausfinden und genau deshalb dialogfähig bleiben. Denn was bleibt uns anderes überig als die Muslime, die in unserem Land sind, so zu integrieren, dass sie Verbündete unserer Demokratie werden? Offenheit auf der einen Seite, Klarheit auf der anderen. Es wäre einen Versuch wert, auch um zu spüren, dass es im Zweifel nicht geht. Wenn es aber nicht gehen sollte, dann frage ich mich, mit wem dann? Mit Bushido?
Die Integration wird ohne Zumutungen nicht auskommen, aber die reaktionären Islamophoben haben dem Land weniger mehr anzubieten als eine überkommene Vorstellung eines nicht-globalisierten Deutschlands. Wir müssen integrieren auf der einen Seite und gleichzeitig unsere Werte und Ideale hart durchsetzen: Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Meinungsfreiheit und keine Relativierung unserer Freiheitsideale dulden. Deswegen müssen rechtsfreie Räume eliminiert werden, Schulbesuch bindend werden und drastische Sanktionen folgen, wenn dieser ignoriert wird. Deswegen müssen Sozialleistungen insbesondere dort gekürzt werden, wo sie Parallelgesellschaften ermöglichen. Dazu braucht es Verbündete in den Volksparteien, vielleicht auch solche mit Kopftuch, und – nebenbei –
keine Frau im Niqab oder Burka wird sich bei der JU anmelden. Da liegen im wahrsten Sinne des Wortes Welten dazwischen.
Julia Klöckner MdL (43)
Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz
Stv. CDU-Bundesvorsitzende